Öffentliche Vergaben in Zeiten von Corona
Das Coronavirus hat sowohl Kommunen und Behörden als auch die Wirtschaft fest im Griff. Die sich hieraus ergebenden vergaberechtlichen Aspekte und Fragestellungen sind vielgestaltig.
I. Laufende Vergabeverfahren
Die aktuelle Krise hat Auswirkungen auf laufende Vergabeverfahren.
Ganz greifbar ist, dass es mittlerweile nicht mehr ohne weiteres möglich ist, größere Zusammenkünfte von Menschen zu organisieren. Das betrifft in Vergabeverfahren vor allem Präsentationen, Verhandlungsgespräche, Testaufbauten, Besichtigungstermine oder sonstige Termine, bei denen eine Anwesenheit der Bieter notwendig ist. Hier muss die Vergabestelle prüfen, ob im Einzelfall eine audiovisuelle Übertragung gleich geeignet ist. So werden laut BMI zum Beispiel bei der Vergabe von Bauprojekten ausschließlich elektronische Vergabeverfahren ohne Eröffnungstermin in Betracht gezogen. Zu beachten ist allerdings, dass dies streng genommen eine Änderung der Vergabebedingungen darstellt. Alternativ müssten die Termine aufgeschoben werden. Im Übrigen muss in laufenden Vergabeverfahren ohnehin elektronisch kommuniziert werden, sodass die grundsätzliche Kommunikation jedenfalls sichergestellt ist.
Es mag sich ergeben, dass sich mit der neuen Krisenlage der Beschaffungsbedarf geändert oder ggf. weggefallen ist. Hier müssen Vergabestellen prüfen und entscheiden, wie eine Ausschreibung möglichst einfach und ohne negative Folgen aufgehoben werden kann. Für Fälle, in denen etwa Material zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beschafft werden soll, sieht die Vergabeverordnung zum Beispiel die Möglichkeit der Vergabe über ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, faktisch eine Direktvergabe, vor, so der Deutsche Städte- und Gemeindebund.
Auch für Bieter mag die veränderte wirtschaftliche Lage dazu führen, dass sich diese nicht mehr an Angeboten oder Bewerbungen festhalten lassen wollen. Bieter müssen hier sorgsam prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen von einem laufenden Verfahren Abstand genommen werden kann, ohne Schadensersatzpflichten auszulösen.
II. Keine generelle Ausnahme für künftige Verfahren
Das Vergaberecht kennt keine generelle Amnestie für wirtschaftliche Ausnahmesituationen oder Krisen. Es bleiben allerdings zahlreiche Einzelausnahmen, bei denen die aktuellen Entwicklungen Berücksichtigung finden können. Dazu gehört insbesondere eine gebotene Eile, die aus Umständen entsteht, die die Vergabestelle nicht zu vertreten hat. Ferner wäre zu prüfen, ob die kurzfristige Verlängerung von Dauerschuldverhältnissen unter den Vorgaben von § 132 GWB auch ohne neues Vergabeverfahren erlaubt sein kann. Vergabestellen sind daher gut beraten, in der jetzigen Ausnahmesituation die Möglichkeiten für Ausnahmen umfassend zu prüfen, vor allem im Fall von Eilbeschaffungen.
III. Fristverkürzungen und Verfahren im Übrigen
Im Übrigen können Vergabestellen prüfen, ob sie nicht bei den gesetzlichen Mindestfristen bleiben oder diese in Ausnahmefällen sogar verkürzen. Wenn keine Ausnahmen vom Vergaberecht gegeben sind, können diese Maßnahmen in jedem Fall für eine Verschlankung führen. Auch Vergabestellen müssen beachten, dass es ganz aktuelle Änderungen im Insolvenzrecht gibt, wonach die Antragspflicht ausgesetzt wird. Auch Vergabestellen stehen künftig vor dem Problem, eine drohende Insolvenz nicht mehr frühzeitig feststellen zu können. Hier wird man zu prüfen haben, ob die Einforderung entsprechenden Eigenerklärungen dies abfedern kann.
IV. Fragen, Rügen und Nachprüfungsverfahren
Bei allem werden Bieter künftig verstärkt darauf achten müssen, dass trotz aller Dringlichkeit und trotz der Ausnahmelage die Regeln des Vergaberechts eingehalten werden. Bieter sollen wie bisher auch, alle Unklarheiten möglichst früh ansprechen und bei Vergabefehlern rügen. Erhalten Bieter Kenntnis von einer sog. de-facto Vergabe, also einer Vergabe ohne EU-weites Verfahren, müssen sie sehr zeitnah prüfen, ob und wie hiergegen vorgegangen werden soll. Werden Bieter auf Mitteilungen im EU-Amtsblatt aufmerksam (Ex-ante Transparenzbekanntmachung oder Zuschlagsmitteilung) gilt das Gleiche.