Corona – Chance für die Digitalisierung?
Viele Unternehmen in Deutschland haben in den vergangenen Tagen und Wochen Möglichkeiten gesucht und gefunden, um ihren Geschäftsbetrieb trotz der massiven Einschränkungen (zumindest teils) aufrechtzuerhalten und damit Leistungserbringung, Arbeitsplätze und Umsätze zu sichern. Dazu gehören insbesondere die erhebliche Ausweitung von Home-Office-Arbeit, der Rückgriff auf automatisierte und IT-basierte Geschäftsprozesse sowie die Ausweitung und Stärkung des Onlinevertriebs. Bemerkenswert ist, dass diese Entwicklungen auch bei solchen Unternehmen angekommen sind, die daran bisher nicht gedacht bzw. diese Themen bisher nicht forciert haben. Folgende Themen dürfen wir heute für Sie beleuchten:
I. IT-Organisation/IT-Notallplan
Gerade in Krisenzeiten liegt es in der Verantwortung der Geschäftsleitung, die Arbeitsfähigkeit des Unternehmens so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Dazu gehört heute mehr denn je eine funktionierende IT-Infrastruktur. Dafür muss es einen Krisenplan geben (oder ein solcher muss zumindest sehr kurzfristig erarbeitet werden).
Dazu gehört insbesondere:
- Die generelle Aufrechterhaltung der IT,
- die Ausrüstung von Mitarbeitern mit Hard- und Software für einen Home-Office-Betrieb,
- Regelungen zum Support und zu Ansprechpartnern und Stellvertretungsregelungen,
- Stresstest der bestehenden Infrastruktur, bspw. bei weitgehender Home-Office-Arbeit,
- Aufrechterhaltung der Datensicherheitsmaßnahmen und Offenhaltung der Kommunikationswege,
- Richtlinien zum Umfang mit unternehmens- und personenbezogenen Daten im Home-Office,
- Kommunikationswege zu externen IT-Dienstleistern.
II. IT-bezogenes Vertragsmanagement
IT-Verträge folgen im Grundsatz dem allgemeinen Zivilrecht, also insbesondere dem Dienstvertrags- oder Werkvertragsrecht. In den allermeisten Fällen ist das vertragliche Verhältnis durch IT-Individualregelungen oder AGB konkretisiert. Solchen Regelwerken werden sich regelmäßig die Rechtsfolgen „höherer Gewalt“ entnehmen lassen, also vor allem eine Möglichkeit der Leistungsverweigerung bzw. ein Ausschluss für eine Schadensersatzhaftung, wenn die Leistungserbringung durch „höhere Gewalt“ unmöglich oder unzumutbar wird. Auftraggeber und Auftragnehmer sind indes gut beraten, die Voraussetzungen und Folgen eines vertraglich vereinbarten Gestaltungsrechts sorgsam abzuwägen. Für den Fall, dass keine AGB einbezogen sind und auch im Übrigen keine schriftliche Vertragsurkunde vorliegt oder in den vorhandenen Unterlagen keine Regelung zu den Folgen „höherer Gewalt“ zu finden ist, müssen sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber prüfen, ob nach den allgemeinen gesetzlichen Grundlagen ein Grund für die Nicht- oder zu späte Erbringung der Leistung besteht. Ein typisches Beispiel ist die tatsächliche Unmöglichkeit, beispielsweise, wenn einem externen IT-Dienstleister der Zugang zum Serverraum verwehrt bleibt, weil dieser gerade aus den Skiferien in Österreich zurückgekehrt ist. Inwieweit Folgen der Corona-Krise zu einer „höheren Gewalt“ führen, kann nicht pauschal beantwortet werden (siehe dazu auch hier).
Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber aktuell neue Regelung schafft: Ein aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise vom Gesetzgeber vorgesehenes zivilrechtliches Moratorium sieht ein besonderes Leistungsverweigerungsrecht für Kleinstunternehmen vor (bis 9 Mitarbeiter und 2 Mio. EUR Jahresumsatz; dazu auch hier). Das dürfte im Ansatzpunkt auf nahezu alle freiberuflichen IT-Dienstleister zutreffen (Freelancer), ebenso auf kleine Systemhäuser oder Softwareprogrammierer. Voraussetzung ist, dass infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann oder dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre. Hier wird man sich in der Praxis zwangsläufig die Frage stellen, ob ein Unvermögen tatsächlich auf die Folgen der Ausbreitung des Virus zurückzuführen ist. Auch wird es erheblichen Streit darüber geben, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen eines Erwerbsbetriebs vorliegt. Der Auftraggeber (Gläubiger) kann – sofern er selbst in wirtschaftliche Schieflage gerät – die Leistungsverweigerung zurückweisen, was wiederum zu einem Rücktrittrechts für den Schuldner führt.
III. HR-Themen, insbesondere Home-Office
Ohne entsprechende rechtliche Grundlage kann weder der Arbeitnehmer beanspruchen, im Home-Office zu arbeiten, noch der Arbeitgeber fordern, dass der Arbeitnehmer im Home-Office arbeitet. Daher bedarf es hier einvernehmlicher Absprachen; hierzu sollten viele Arbeitnehmer grundsätzlich bereit sein. Vor dem Ausspruch etwaiger Freistellungen sollten Sie daher versuchen, mit möglichst vielen Arbeitnehmern, die in eine Risikokategorie fallen, solche Home-Office-Vereinbarungen zu schließen. Der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung mit einem Betriebsrat dürfte nicht rechtswirksam sein. Wichtig ist im Übrigen, die arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung des Arbeitsplatzes im Home-Office umzusetzen.
Rein tatsächlich müssen die entsprechenden Kapazitäten für einen umfassenden Home-Office-Einsatz auch technisch gegeben sein. Das bedeutet: Mitarbeiter müssen über entsprechende Endgeräte sowie über einen gesicherten Zugang zum Firmennetzwerk verfügen. Dieser muss auch für den dann erheblich ausgeweiteten Zugriff ausgelegt sein. Das sollte rechtzeitig in Stresstests geprüft werden. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Anforderungen an den Daten- und Know-how-Schutz gewährleistet bleiben, dass also den Mitarbeitern verdeutlicht wird, welche Sicherheitsmaßnahmen sie von zu Hause erfüllen müssen und dass der Zugang zum Netzwerk angemessen abgesichert ist. Sollten sich hier Lücken auftun, gehen Unternehmen erhebliche Risiken im Bereich Datenschutz und Know-how-Schutz ein. Zu den aktuellen HR-Themen finden Sie auch hier weitere Informationen.
IV. Automatisierte Geschäftsmodelle und Online-Vertrieb
Die interne Nutzung automatisierter Geschäftsprozesse hat selbstverständlich den Vorteil, dass diese unabhängiger vom Gesundheitszustand der Belegschaft funktionieren. Hierbei sollte sichergestellt sein, dass Personen, die für den Support, die Wartung oder die Überwachung zuständig sind, im Betrieb oder von zu Hause arbeiten können und im Ernstfall auch einen oder mehrere Stellvertreter haben.
Der Onlinevertrieb funktioniert derzeit noch mehr oder weniger reibungslos, da die behördlichen Anordnungen zur Schließung von Ladenlokalen nur den stationären, also niedergelassenen Vertrieb mit einem direkten Kundenkontakt betreffen. Voraussetzung für einen funktionierenden Onlinevertrieb ist eine entsprechende Infrastruktur. Dazu gehört insbesondere ein funktionsfähiges Frontend (spezifisch für den B2B- oder B2C-Verkehr) sowie ein verlässliches Backend, dass im besten Fall mit der Lagerhaltung verknüpft ist, um echtzeitgenaue Lagerbestände im Shop anzuzeigen. Aus rechtlicher Sicht ist insbesondere darauf zu achten, dass Betreiber alle Informationspflichten erfüllen. Diese sind insbesondere im B2B-Bereich äußerst detailliert und vielgestaltig und betreffen sowohl die äußere Gestaltung des Webshops, als auch die zur Durchführung einer Bestellung erforderliche Kommunikation via E-Mail. Ungenauigkeiten und Fehler können in diesem Bereich schnell zur Abmahnungen durch Wettbewerber oder Verbraucherverbände führen. Ferner sind Betreiber von Webshops sehr gut beraten, entsprechende und auf ihre Interessen zugeschnittene AGB zu verwenden. Hersteller, die ihren Händlern Vorgaben zum Onlinevertrieb machen wollen, haben zudem die vertriebskartellrechtlichen Schranken zu beachten.
V. Datenschutz/Know-how-Schutz/Compliance
Das Datenschutzrecht und das Geschäftsgeheimnisgesetz kennen keine Amnestie für Krisenzeiten. Die Compliance-Maßnahmen dürfen also nicht ausgesetzt werden. Entscheidend ist insbesondere, dass auch in Krisenzeiten und bei allem Trubel die Kommunikationswege sichergestellt und nicht „verstopft“ sind, sondern freigehalten werden. Denn sollte sich zur Corona-Krise noch ein weitläufiges und unbemerkt gebliebenes Datenleck gesellen, dürften die Kapazitäten von Unternehmen in IT, Personal- und Rechtsabteilung bald an ihre Grenzen geraten. Denn dann ergeben sich zahlreiche neue und vor allem haftungsträchtige Probleme aus den Bereichen Datenschutz und Know-how Schutz.
Werden Home-Office-Arbeitsplätze neu geschaffen, wird auch die Erarbeitung einer entsprechenden Richtlinie erforderlich werden, die den Umgang mit unternehmens- und personenbezogenen Daten regelt. Nur so können wertvolles Know-how wirksam geschützt und Datenschutzverstöße vermieden werden.