Behinderung, Verzug und höhere Gewalt
Die Haftung des Aufragnehmers/Vermieters für eine verzögerte Fertigstellung/Übergabe hängt in besonderem Maße von der bauvertraglichen/mietvertraglichen Ausgestaltung ab.
Haftet der Auftragnehmer/Vermieter nur für verschuldete Verzögerungen, kann er sich nach unserer Einschätzung bei der aktuellen Dynamik der Situation auf höhere Gewalt berufen, wenn sich die Fertigstellung von Bauleitstungen/Übergabe von Mietflächen aufgrund der COVID-19 Pandemie verzögert (z.B. wegen einer Unterbrechung von Lieferketten am Bau oder behördlichen Verboten).
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt höhere Gewalt vor, wenn ein Ereignis eintritt, dass keiner Sphäre einer Vertragspartei zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist. Mit der Einordnung der Corona-Krise als Pandemie durch die WHO vom 11.03.2020 dürfte insoweit Klarheit bestehen. Den Besonderheiten des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Gründe der Verzögerung kommt zu dieser Frage eine besondere Rolle zu. Wichtig ist insofern noch mehr als sonst, dem GU oder sonstigen Auftragnehmern bei etwaigen Behinderungen durch die COVID-19 Pandemie konkrete Nachweise über die Gründe und die Dauer der Behinderung abzuverlangen.
Es muss gleichwohl in jedem Einzelfall geprüft werden, ob und inwieweit vertragliche Pflichten aus welchem Grund nicht eingehalten werden können. Insbesondere bei einer hoheitlichen Untersagung jeglicher Bautätigkeiten in der Baustellenregion – etwa im Zuge einer generellen Ausgangsperre – liegt ein Fall der höheren Gewalt vor. Etwas anderes mag zutreffen, wenn die Baustellen-Mitarbeiter ohne jegliche hoheitliche Anordnung nicht auf der Baustelle erscheinen; hier gilt, dass der Arbeitgeber für seine Mitarbeiter (und die seines Subunternehmers) verantwortlich ist, weil er diese als seine Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) gegenüber dem Vertragspartner einsetzt.
Die Folge von höherer Gewalt: Der Leistungsempfänger kann vom Leistungserbringer keinen Schadensersatz verlangen, wenn der Leistungserbringer seine Leistungen (wegen Lieferengpässen oder Quarantäne-Maßnahmen) nicht erbringen kann, da den Leistungserbringer kein Verschulden trifft. Aber auch der Leistungsempfänger kann sich häufig gegenüber Ansprüchen des Leistungserbringers wegen fehlender Mitwirkung mit dem Argument verteidigen, es liege höhere Gewalt vor.
Bauleistende sind gehalten einen Fall der höheren Gewalt gegenüber Vertragspartnern durch eine Behinderungsanzeige anzuzeigen, sobald sie an der Erbringung der geschuldeten Leistung gehindert sind. Die Behinderungsmeldungen haben schriftlich und unverzüglich zu erfolgen. Dabei sollte auch stets so konkret wie möglich erläutert werden, welche Leistungen aus welchen Gründen inwieweit behindert sind. Neben einer möglichen Erstinformation über betroffene Bauprojekte und Verträge bedarf es daher immer auch einer konkreten Darlegung im Einzelfall. Bei behördlichen Anordnungen genügt regelmäßig ein Verweis auf diese und die Folgen. Subunternehmer sind im gleichen Maße gehalten, Behinderung anzuzeigen.
Auftragnehmer/Vermieter sollten zudem drohende Verzögerungen in jedem Fall frühzeitig kommunizieren, damit Auftraggeber/Mieter Schadensminderungsmaßnahmen einleiten können. Neben einer möglichen Erstinformation über betroffene Bauprojekte und Verträge bedarf es – sobald möglich – immer auch eine konkrete Darlegung der Behinderung im Einzelfall.
Liegt ein Fall von höherer Gewalt vor, werden Vertragsfristen um die Dauer der Behinderung verschoben. Sofern § 6 Abs. 4 VOB/B vereinbart wurde, sind auch Zuschläge für die Wiederaufnahme der Arbeiten und ggf. auch wegen der Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit zu beachten. Vereinbarte Vertragsstrafen und auch Schadensersatzansprüche wegen Verzug setzen in Bauverträgen ein Verschulden des AN voraus. Hieran wird es bei Vorliegen höherer Gewalt fehlen.
Nach Möglichkeit sollten sich Beteiligte eines Bauvorhabens auf einen neuen Terminplan einigen, sobald dies nach einer Stabilisierung wieder möglich ist. Idealerweise sollten dabei auch Erwerber bzw. Mieter des Bauvorhabens miteinbezogen werden.
Für den Neuabschluss von Bauverträgen/Mietverträgen ist dringend zu empfehlen, in Bezug auf die Fertigstellungs-/Übergabeverpflichtungen ausdrückliche Regelungen und/oder verlängerte Fristen für den Fall der Verzögerung aufgrund der COVID-19 Pandemie aufzunehmen. Da die besonderen Umstände der COVID-19 Pandemie jetzt bei einem Neuabschluss bekannt sind, sind die potentiell zu erwartenden Beeinträchtigungen ohne gesonderte Regelung vom Auftragnehmer/Vermieter einzukalkulieren.