Corona-Krise und Alternativen zur physischen Haupt-/Gesellschafterversammlung
Untersagten Bund, Länder und Behörden zu Beginn der Corona-Krise zunächst nur größere Veranstaltungen, gilt inzwischen bundesweit ein striktes Kontaktverbot.
Vor dem Hintergrund, dass das Geschäftsjahr eines Unternehmens regelmäßig dem Kalenderjahr entspricht, wirken sich diese Beschränkungen und Verbote unmittelbar auf die anstehende Hauptversammlungssaison 2020 aus. Bei Aktiengesellschaften hat die Hauptversammlung in den ersten acht Monaten (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG), bei Unternehmen in der Rechtsform der SE (Societas Europaea) bereits innerhalb der ersten sechs Monate (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) des Geschäftsjahres stattzufinden.
Andere Rechtsformen, wie u.a. die GmbH, sind von den Einschränkungen ebenfalls betroffen, da § 48 Abs. 1 GmbHG für die Beschlussfassung grundsätzlich physische Gesellschafterversammlungen vorsieht.
Angsichts der Tatsache, dass die Durchführung einer physischen Haupt-/Gesellschafterversammlung derzeit unmöglich ist, stellt sich für Unternehmen daher die drängende Frage nach möglichen Handlungsalternativen:
I. AG – Virtuelle Hauptversammlung
Das am 27.03.2020 in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht schafft neue Möglichkeiten für die Abhaltung von Hauptversammlungen, damit Aktiengesellschaften auch in der aktuellen Krise handlungsfähig bleiben. Das Gesetz versetzt Unternehmen u.a. in die Lage, auch bei weiterhin bestehenden Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten erforderliche Hauptversammlungsbeschlüsse fassen zu können. Wesentliches Merkmal ist die erleichterte Durchführung von Hauptversammlungen. Dies betrifft neben der Aktiengesellschaft (AG) auch die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die Europäische Gesellschaft (SE), die General- und Vertreterversammlungen der Genossenschaft und die Mitgliederversammlungen von Vereinen. Sämtliche nachstehend aufgeführten Maßnahmen des Vorstands bedürfen dabei der Zustimmung des Aufsichtsrats.
1. Online-Teilnahme an Hauptversammlung ohne Satzungsermächtigung
Der Vorstand kann – auch ohne Ermächtigung durch die Satzung oder Geschäftsordnung – entscheiden, dass die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, sofern
- die gesamte Versammlung in Bild und Ton übertragen wird,
- die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
- den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und die Beantwortung der Fragen nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt,
- den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach Punkt 2 ausgeübt haben – unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung nach § 245 Nr. 1 AktG – eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.
2. Eingeschränkte Anfechtungsmöglichkeiten
Die Anfechtung eines Beschlusses der Hauptversammlung kann unbeschadet der Regelung in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG auch nicht auf Verstöße gegen § 118 Abs. 1 S. 3 – 5, Abs. 2 S. 2, oder Abs. 4 AktG sowie nicht auf eine Entscheidung des Vorstands nach Abs. 2 gestützt werden. Eine Ausnahme gilt für Fälle, in denen der Gesellschaft Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
3. Verkürzte Einberufungsfrist
Abweichend von § 123 Abs. 1 Satz 1 AktG kann der Vorstand entscheiden, die Hauptversammlung spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung (statt bisher 30 Tage vor der Versammlung) einzuberufen.
4. Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn
Abweichend von § 59 Abs. 1 AktG ist der Vorstand zudem nach Art. 2, § 1 Abs. 4 des Gesetzes berechtigt, auch ohne Ermächtigung durch die Satzung zu entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Abs. 2 des AktG an die Aktionäre zu zahlen.
5. Verschiebung der Hauptversammlung
Bereits ohne diese „Notfallgesetzgebung“ besteht nach derzeitigem Recht die Möglichkeit, eine bereits einberufene Hauptversammlung zu verschieben. Zwar verpflichtet § 175 Abs. 1 S. 1 AktG den Vorstand, die ordentliche Hauptversammlung „unverzüglich“, d. h. ohne schuldhaftes Zögern nach Eingang des Berichts des Aufsichtsrats einzuberufen. Eine Verschiebung ist jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn hierfür sachliche Gründe vorliegen. Die Corona-Pandemie dürfte eine solche Verschiebung rechtfertigen, auch über die acht- bzw. sechsmonatige Frist hinaus, bis eine akute Gesundheits- bzw. Infektionsgefahr der Aktionäre und anderer Teilnehmer ausgeschlossen ist. Negative Rechtsfolgen, etwa in Form von Zwangsgeldern (§ 407 Abs. 1 AktG) oder Schadensersatzansprüchen (§ 93 Abs. 2 AktG) hat die Unternehmensleitung daher kaum zu befürchten.
Zusätzlich sieht das Gesetz nunmehr eine Verlängerung der acht- bzw. sechtsmonatigen Frist zur Durchführung der ordentlichen Hauptversammlung vor. Demnach wurde in Abweichung zu § 175 Abs. 1 S. 2 AktG die Frist auf das gesamte Geschäftsjahr verlängert. Dies sollte zu einer spürbaren zeitlichen Entlastung führen.
II. GmbH – Erleichterung auch für Gesellschafterversammlungen
Bei der GmbH ist die Anzahl der Gesellschafter üblicherweise deutlich geringer als bei der AG, gleichwohl sind Gesellschafterbeschlüsse auch bei der GmbH grundsätzlich in physischen Versammlungen zu fassen (§ 48 Abs. 1 GmbHG), die aufgrund der aktuellen Einschränkungen nicht ohne Weiteres möglich sind.
Das Gesetz sieht bereits die Möglichkeit einer Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren vor, verlangt dafür allerdings die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (§ 48 Abs. 2 GmbHG). Diese Bestimmung wird häufig in den Gesellschaftsverträgen von GmbHs nachgebildet. Obwohl es grundsätzlich zulässig wäre, die Zustimmung der Mehrheit der Gesellschaft für das schriftliche Verfahren ausreichen zu lassen, ist dies nur selten der Fall. Eine physische Versammlung ist deshalb immer schon dann erforderlich, wenn auch nur ein Gesellschafter dem schriftlichen Verfahren widerspricht.
Die Durchführung einer Gesellschafterversammlung im Wege einer Video- oder Telefonkonferenz sieht das Gesetz nicht vor, sie wird gleichwohl für zulässig gehalten, sofern der Gesellschaftsvertrag entsprechende Regelungen enthält, was allerdings nur bei den wenigsten GmbHs der Fall ist.
1. Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
Für die GmbH sieht das neue Gesetz deshalb vor, dass Gesellschafterbeschlüsse auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen gefasst werden können. Die Geschäftsführung (§ 49 Abs. 1 GmbHG) kann danach das schriftliche Verfahren anordnen. Weder müssen die Gesellschafter dem schriftlichen Verfahren zustimmen noch könnten Sie dem Umlaufverfahren widersprechen. Eine physische Gesellschafterversammlung wird dadurch vermieden.
Nicht eindeutig ist die Rechtslage, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Regelung für die schriftliche Beschlussfassung vorsieht. Soweit diese lediglich den § 48 Abs. 2 GmbH wiedergibt, sprechen gute Gründe für die Annahme, dass die Erleichterung aus dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht hier ebenfalls gilt. Dafür spricht schon der Sinn und Zweck des Gesetzes, Beschlussfassungen auch in der aktuellen Krise zu vermöglichen, in denen die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen erheblich erschwert und ggf. sogar unmöglich ist.
Anderes könnte gelten, wenn der Gesellschaftsvertrag nicht lediglich § 48 Abs. 2 GmbHG wiedergibt, sondern eine eigenständige Regelung zur schriftlichen Beschlussfassung trifft. In diesen Fällen wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob die das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht die schriftliche Beschlussfassung erleichtert oder ob die gesellschaftsvertragliche Regelung fortgilt.
2. Praxistipp
Für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag keine Regelung zur schriftlichen Beschlussfassung enthält oder lediglich § 48 Abs. 2 GmbH nachbildet, kann sich Folgendes anbieten:
Durch die Stimmabgabe im schriftlichen Verfahren wird den Gesellschaftern die Möglichkeit genommen, sich umfassend bei der Geschäftsführung über die aktuelle Lage der Gesellschaft zu informieren. Dies ist gerade bei den üblichen Beschlussgegenständen der ordentlichen Gesellschafterversammlung nicht ideal, also insbesondere bei der Feststellung des Jahresabschlusses, der Verwendung des Ergebnisses (§ 46 Nr. 1 GmbHG) sowie der Entlastung der Geschäftsführung (§ 46 Nr. 5 GmbHG).
Unabhängig davon, ob der Gesellschaftsvertrag im konkreten Fall die Möglichkeit einer Video- oder Telefonkonferenz einräumt, bietet es sich deshalb häufig an, eine solche gleichwohl anzuberaumen. Dies ermöglicht es der Geschäftsführung, den Gesellschaftern z.B. den Jahresabschluss und die Lage der Gesellschaft mündlich zu erläutern. Zugleich werden die Gesellschafter in die Lage versetzt, der Geschäftsführung Fragen zu stellen und sich über diejenigen Punkte informieren, die sie konkret interessieren. Erfahrungsgemäß ist dies für Gesellschafter, die nicht unmittelbar in die Geschäftsführung involviert sind, von besonderer Bedeutung.
Lediglich die Stimmabgabe müsste dann in Text- oder Schriftform erfolgen. Für die Textform wäre z.B. die Stimmabgabe per Email ausreichend. Diese könnte auch während der Video- oder Telefonkonferenz erfolgen, so dass das Beschlussergebnis unmittelbar verkündet werden kann. Gegebenenfalls könnte die Stimmabgabe auch per Chat während der Video- oder Telefonkonferenz erfolgen, wenn die Voraussetzungen der Textform (§ 126b BGB) erfüllt sind. Ob dies der Fall ist, ist allerdings im Einzelfall zu prüfen. Nicht ausreichend hingegen ist die mündliche Stimmabgabe oder per Handzeichen.